Reinfeiern; 39

Heute ist der erste Schulungstag. Um 9 Uhr geht es los. Gegen 8:15 Uhr verlasse ich das Hotel. Um 8:30 Uhr stehe ich in Ochanomizu und warte auf den Chuo-Rapid wie hunderte andere Pendler. Der Zug erreicht Shinjuku um 8:42 Uhr. Soweit läuft alles nach Plan. Die Fahrt mit der Yamanote hätte doppelt so lange gedauert. Bis Shinjuku hat noch alles geklappt, aber ich habe den Straßenplan im Hotel gelassen.

Die Adresse ist 5-16-10. Die 5. Straße ist einfach. Der 16. Block wird schon schwerer. Ich muss bei einer Koban fragen. Ich war knapp daneben in der 15. Nun die Nummer 10. Ich laufe drei Mal im Kreis. Die Häuser haben keine Schilder und die Nummernverteilung in Japan ist eher zufällig. Ich brauche ein paar Runden, dann sehe das GenkiJACS-Schild. Das Haus ist wirklich gut versteckt.

Ich bin etwas zu spät, aber die erste Stunde ist kein Unterricht. Es geht um meine sprachliche Einstufung für den gebuchten Privatunterricht. Vom Unterricht berichte ich nicht. Es ist Sprachunterricht. Was soll es da schon zu berichten geben. Zum Mittag gehe ich in eines dieser kleine Restos, die ihren gesamten Umsatz in der Mittagspause machen. Rein (Klimaanlage); Essen (Tonkatsu-Karree); Raus (unerträgliche Mittagshitze).

16:00 Uhr ist Unterrichtsende. Ich laufe planlos durch Shinjuku. Kabukicho bei Tageslicht ist langweilig und in Omoide Yokocho ist noch nichts los. Ach ja … Ich finde Omoide Yokocho.Es ist so simpel. Ich habe es im Prinzip schon 2004 gefunden, nur nicht gemerkt, da ich damals keine Kanji oder Hiragana lesen konnte.

Damals war es nachts und die Straße ist so schmal, dunkel und merkwürdig, dass ich damals keinen Fuß reingesetzt habe. Und so manch anderer Tourist wird einen Bogen gemacht haben. Der Vergleich hinkt gewaltig, aber ich versuche es trotzdem: Nebenstraßen Reeperbahn. Da würde man auch nicht so einfach einen Fuß reinsetzen. Es ist eine wirklich schmale Gasse mit Läden, die optisch die beste Zeit weit hinter sich gelassen haben.

Zeit die Suica zu entsperren. Es dauert etwas, bis ich den Schalter finde. Mein Problem zu erklären dauert noch länger. Das Entsperren braucht dann nur noch Sekunden. Zurück im Hotel sammle ich die aktuellsten Infos zu Taifun 10 ein. Er wird nicht bei Tokyo, sondern Sendai auf Land treffen. Glück gehabt. Viel Regen wird es dennoch geben. Hm, noch ist das Wetter gut.

Ich starte den zweiten Anlauf zur Bar INCUBATOR. Dieses Mal weiß ich wo sie ist … und laufe trotzdem zunächst dran vorbei. Es fängt an zu regnen. Die Bar ist sehr klein; 16 Gäste; maximal. Innen ist alles Geek-Style. Der Besitzer hat Biologie studiert. Das Geschirr kommt fast komplett aus dem Chemielaborkatalog. Wegen solcher Plätze liebe ich Tokyo. Jede Geschäftsidee findet hier Kunden und einen Platz.

Ich starte mit 300ml Bier im Becherglas. Dazu ein paar getrocknete Feigen in eine Probenröhrchen. Das ist so geeky. Ich bestelle etwas zu Essen: Käse und Schinken mit Olivenöl und Rucola. Den Käse soll ich mit dem Bunsenbrenner rösten. Die Stahlpinzette ist für den Schinken mit Olivenöl. Dazu trinke ich einen Whisky „in vitro“.

Der nächste Drink heißt DNA. Dabei wird das in der Erdbeere enthaltene Eiweiß (DNA) über eine chemische Reaktion ausgefällt und bildet ein Gelee. Man kann quasi die DNA der Erdbeere essen und den Rest trinken.

Im laufe des Abends folgen weitere interessante Cocktail-Kreationen. Jede hat eine Geschichte. Der bestellte Sake wird stilecht in einem Erlmeierkolben über dem Bunsenbrenner erhitzt. Zum Erreichen der favorisierten, individuellen Trinktemperatur hat der Versuchsaufbau ein Thermometer.

Mitternacht naht. Ich klöne mit dem Barbetreiber. Er hat die Bar eröffnet, da er während des Studiums eine solche Bar vermisst hat. Ich bin so spät der einzige Gast, das soll mich aber nicht stören. Ich nutze das vorhandene Mikrosop, um die Sicherheitsmerkmale der japanischen Geldscheine und Münzen zu prüfen. Ich glaube das fällt dann unter das Stichwort „Infotainment“. Fazit: Die Bar gewinnt 5 von 5 Sternen. Sowas gibt es nur in Japan.

Für Mitternacht bestelle ich einen guten Whisky; nicht den billigen. In Tokyo bin ich jetzt bereits 40. In Europa bin ich noch 39.

Ich würde gerne noch bleiben, aber morgen ist Unterricht. Den Fehler mit der U-Bahn mache ich nicht noch einmal. Ich schnappe mir erneut ein Taxi. Die Fahrt nimmt eine etwas andere Route als gestern. Ich steige nahe des Yushima Tenmangu aus. Das war mit Abstand einer der teuersten Abende in Tokyo, aber gut.

Erkenntnis des Tages: 40