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会席 .. Kaiseki

Kaiseki ist ein traditionelles, japanisches Abendessen mit mehreren Gängen. Es ist auf dem Level der westlichen Haute Cuisine zu sehen und entsprechend bepreist. Auf dem Teller sind die einzelnen Gerichte kleine Kunstwerke, die alle einem Satz von Regeln folgen.

Schreibweise

Es gibt zwei Schreibweisen, mit unterschiedlichem Urpsrung, die zwei verschiedene Arten von Kaiseki beschreiben: 懐石 und 会席.

Der Ursprung von 懐石 ist das Wort 温石 (Onjaku). Dies ist ein heißer Stein, den man sich in die Kleidung steckt, um sich zu wärmen. Mönche haben ihn ihrer Brusttaschen (懐, kai) getragen, um das Hungergefühl während langer Meditationen zu unterdrücken. Das Kanji 石 für Stein kann wie oben jaku gelesen werden, aber auch ishi oder seki. 懐石 (kai-seki) meint also Brusttaschenstein.

Diese Schreibweise wird für Kaiseki benutzt, das vor einer Teezeremonie gereicht wird. Es soll wie der Stein, das Hungergefühl unterdrücken, damit man die Teezeremonie genießen kann.

会席 wird ebenfalls Kaiseki gelesen. 会 ist ein Treffen oder Zusammenkunft, 席 kann als Sitzplatz übersetzt werden. Kaiseki ist salopp eine Zusammenkunft mit Sitzgelegenheit, ein Banquet.

Kaiseki-Stile

Kaiseki ist, wie erwähnt, ein mergängiges Gericht bei dem alle Gänge gleichzeitig auf einem großen Tablett serviert werden. Die Gänge sind vergleichbar mit den Gängen in der westlichen Haute Cuisine. Es gibt einen Starter, mehrere Haupt- und Zwischengänge und ein Dessert. Über die Jahrhunderte haben sich verschiedene Stile entwickelt. Die wichtigsten sind:

  • 有職料理 (yuusoku ryouri) entstand am kaiserlichen Hof während der Heain-Zeit (9. Jarhrhundert)
  • 精進料理 (shoujin ryouri) ist eine buddhistische (vegetarische) Version, die den Tempel der Kamakura-Zeit (12. Jahrhundert) entwickelt wurde.
  • 本膳料理 (honzen ryouri) ist die Samurai-Version, die in der Muromachi-Zeit (14. Jahrhundert) entstand.
  • 茶懐石 (cha-kaiseki), das ich oben schon erwähnte, entstand in der Higashiyama-Periode (15. Jahrhundert), einem Zeitabschnitt innerhalb der Muromachi-Zeit.

Daneben entwickelten sich noch unzählige weitere Varianten. Und jede Stilrichtung hat ihre einen Regeln und Philosophien in der Zubereitung, Kombination und Darbietung der Speisen. Heutzutage bedient sich Kaiseki dieser Stilrichtungen und kombiniert sie zum Teil.

Asunaro Ryokan, Takayama (übernachtet in 2008)
Asunaro Ryokan, Takayama (übernachtet in 2008)
Prinzipien von Kaiseki

Kaiseki ist mehr als nur Essen. Es geht immer auch um Kombination von Zutaten, Aromen, Gerüchen, Texturen und Farben, sowie das Arrangement der Zutaten zu einem … ja ich sage es … Gesamtkunstwerk für alle Sinne. Folgende Grundregeln werden dabei immer beachtet:

  • saisonale Zutaten
  • lokale/regionale Zutaten
  • frische Zutaten
  • ausgewogene Kombination der 5 Farben Schwarz, Weiß, Gelb, Grün und Rot
  • Verwendung von passendem Geschirr
  • gelegentlich werden auch Wünsche oder Vorlieben des Gastes mit eingebaut.

Bei Kaiseki werden nur frische Zutaten entsprechend der jeweiligen Jahreszeit benutzt. Sie werden so zubereitet, dass ihr Eigengeschmack betont wird. Die Zutaten werden teilweise getrennt zubereitet, damit sich die Arome nicht überlagern.

Neben der Jahreszeit wird auch die Lokalität, die Region gewürdigt. Wenn ich im Sommer in Akita bin, möchte ich etwas essen, dass die Natur im Sommer in Akita bietet. Wir kennen bei uns die Spargelzeit oder die Zeit für Pflaumenkuchen, Federweißer oder Grünkohl. Der Japaner legt hier nochmal ’ne Schippe drauf.

Dass die Zutaten Topqualität haben, muss man eigentlich nicht erwähnen. Das versteht sich von selbst.

Die Gerichte werden geradezu künstlerisch angeordnet und garniert, oft mit echten Blättern und Blüten. Essbare Garnituren werden oft so gestaltet, dass sie Pflanzen oder Tieren ähneln.

Das Geschirr ist ein weiterer wichtiger Teil. Form, Farbe und Struktur (glasiert oder rauh) sind passend zum Gericht gewählt, was auch dem Geschirr präsentiert wird. Alles hat einen Grund und folgt einen Zweck. Ich muss nicht erwähnen, dass auch das Geschirr die Jahreszeit und die Region berücksichtigt. Zudem ist es oft sehr altes Geschirr, dass für Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte und Nutzung ist. Tradition ist natürlich auch ein Teil von Kaiseki.

Ich behaupte mal, dass die ästhetische Erfahrung, das Essen zu betrachten, der wichtigste Teil von Kaiseki ist. Das Bedürfnis vor dem ersten Bissen ein Foto zu machen, kann ich nachvollziehen. Jedes Tablett ist ein kleines Kunstwerk.

Setup und Reihenfolge

Ursprünglich bestand ein Kaiseki-Menü aus Misosuppe, Reis und drei Beilagen. Das ist heute das Standardsetup für die normale japanische Küche und trägt den Namen セット (setto). Heutzutage ist Kaiseki viel umfangreicher und komplexer und umfasst klassisch 5 Gänge: Vorspeise, eine gegrillte Komponente, eine gekochte oder gedämpfte Komponente, Reise und Misosuppe (als Sättigungskomponente) und ein Dessert.

Über weitere Gänge entscheidet der Koch. Wie schon erwähnt werden alle Gänge zeitgleich auf einem Tablett serviert. Es ist daher wichtig, die Reihenfolge zu kennen. Es wird einem nicht der Kopf abgerissen, wenn man durcheinander isst. Allerdings bauen die Gänge kulinarisch aufeinander auf. Dies wird natürlich ramponiert, wenn man mit dem Dessert startet.

Bevor wir starten: ihr findet oft das Kanji 物 (mono). Es bedeutet Ding oder Sache. Es kann benutzt werden, um Verben zu substantivieren. taberu (essen) –> tabemono (das Essen), kau (einkaufen) –> kaimono (der Einkauf). Das Kanji 焼 (yaki) kennt ihr von Yakitori, Takoyaki oder Okonomiyaki. Es bezeichnet gegrilltes. 焼物 (yakimache) ist also eine gegrille Sache (Gegrilltes). 肴 (sakana) bezeichnet Vorspeisen oder Snacks, die zum Sake (oder Bier) gereicht werden.

Bentenkaku Ryoian in Naruko (übernachtet 2004 uns 2014)
Bentenkaku Ryoian in Naruko (übernachtet 2004 uns 2014)
  • 先附 .. sakizuke: eine Vorspeise vergleichbar dem Amuse-bouche. Dazu wird in der Regel 日本酒 (Nihonshu, a.k.a Sake) oder 梅酒(Umeshu) als Aperitif gereicht.
  • 椀物 / 御椀 .. Wanmono / Owan: Eine leichte Suppe, um den Gaumen zu reinigen; ich sage immer „Reset der Zunge“.
  • 八寸 .. hassun: Der zweite oder dritte Gang. Er trägt die Jahreszeit. Es ist oft ein Sushi oder ein Set von saisonalen Beilagen. Die Dekoration stimmt auf das Thema des gesamten Menü ein.
  • 煮合 .. takiawase: Die gekochte Komponente und besteht aus Gemüse mit Fleisch, Fisch oder Tofu als Proteinquelle. Die Zutaten werden dabei getrennt gesimmert, damit sich die Arome nicht vermischen und auch Farbe und Textur erhalten bleiben. Weitere mögliche Begriffe sind Shiizaka (強肴) oder Nimono (強肴).
  • 向付 .. mukouzuke: ein geschnittenes Gericht; in der Regel ist es saisonales Sashimi. Serviert werden 2 bis 5 Häppchen.
  • 物 .. futamono: Ein „Gericht mit Deckel“. Meist ist eine klare Suppe, die in einer kleinen Schüssel mit Deckel serviert wird.
  • 焼物 .. yakimono: Die gegrillte Komponente. Dies ist in der Regel gegrillter Fisch. Eine andere Bezeichnung ist Hachizakana (鉢肴)
  • 御食事 .. Oshokuji: der letzte Gang vor dem Desert. Er soll sicherstellen, dass alle satt werden. Zu diesem Zeitpunkt wird auch kein Alkohol mehr ausgeschenkt (ein weiteres Anzeichen, dass bald Schluss ist).  Ich habe es ohne es zu wissen, richtig gemacht. Meine Motivation war immer, mich an den Kostbarkeiten satt zu essen und nicht den Magen mit dem Reis zu blockieren. Der Gang besteht aus:
    • 御飯 .. gohan: gekochter Reis, oft ergänzt mit saisonalen Zutaten (diese dann in einer separaten Schüssel serviert).
    • 止椀 .. tome-wan: Eine Gemüsesuppe auf Miso-Basis. Sie gehört zum Reis.
    • 香の物 .. kounomono: Saisonales, eingelegtes Gemüse.
  • 水物 .. Mizumono: Das Desert, meist saisonale Früchte. Heutzutage können es aber auch Eiscreme oder ein Stück Kuchen sein. Dazu wird traditionell ほうじ茶 (Hojicha), gerösteter grüner Tee serviert. Ein alkoholisches Digestif existiert in Japan nicht. Aber Restaurants sind nicht von gestern und können auf Anfrage sicherlich einen Portwein oder Whisky anbieten.
Hotel Sansui, Tsunagi Onsen (übernachtet in 2008)
Hotel Sansui, Tsunagi Onsen (übernachtet in 2008)

Weitere (optionale) Komponenten sind:

  • 酢肴 .. Suzakana: Ein Zwischengang, um den Geschmack zu neutralisieren. Das englisch Wort ist palete-cleanser. Meist ist es in Reisessig eingelegtes Gemüse. Beim Sushimenü ist dies der eingelegte Ingwer. Ein alternativer Begriff, den ich gefunden habe, ist Sunomono (酢物) und verweist auf die Verwendung von Essig.
  • 冷し鉢 .. hiyashi-bachi: Es wird nur im Sommer serviert und und ist gekühltes, leicht gekochtes oder gedünstetes Gemüse.
  • 中猪口 .. Naka-choko: Dies ist neben dem Suzakana ein weiterer Geschmacksneutralisierer in der Mitte des Menüs.
  • 強肴 .. shiizakana: Ein herzhafte Komponente, in der Regel Hot Pot.
Wo bekommt man Kaiseki?
  • Entweder ihr besucht ein (teures) Restaurant,
  • oder ihr übernachtet in einem besseren Ryokan.

Ryokans sind sicherlich die einfachere Variante. Ein Restaurant zu finden und dann einen Tisch (geht meist nur auf Japanisch) zu reservieren, ist echt kniffelig. Ryokan, die Kaiseki anbieten, weisen meist schon auf der Internetstartseite darauf hin.

Kaiseki im Ogiwarakan (übernachtet in 2018)
Kaiseki im Ogiwarakan (übernachtet in 2018)

In den Ryokans mit Kaiseki gibt es dann wieder zwei Optionen: Bei den einen ist das Abendessen fest mit im Übernachtungspreis, der dann locker die 150€/Nacht übersteigt (Einzelperson). Und es gibt Ryokans, bei denen man Kaiseki optional buchen kann. Der Preise pro Übernachtung mit und ohne Kaiseki unterscheidet sich schnell um 50€ oder mehr pro Nacht.

Ich würde die zweite Variante empfehlen und dann bei mehreren Übernachtungen mindestens ein Mal Kaiseki ordern. Sicherlich sind 50€ (oder mehr) viel. Aber für ein mehrgängiges Abendessen mit frischen, saisonalen, regionalen Zutaten ist auch ein Schnäppchen.

Jeden Abend Kaiseki würde ich auch nicht wählen. Denn so entgeht einem die Chance, abends ein Restaurant oder Izakaya aufzusuchen. Immer nur im Hotel zu Abend essen ruiniert das Nachtleben und ist einer der Gründe, warum die Onsenorte verfallen.

Letzter Hinweis: Seid pünktlich. Frisch und frisch zubereitet ist ein wesentlicher Faktor bei Kaiseki. Ryokans mit Kaiseki haben daher einen strikten Zeitplan für das Abendessen.

Hanaya, Tsumago, Abendessen (übernachtet in 2012)
Hanaya, Tsumago, Abendessen (übernachtet in 2012)

Restaurants, die Kaiseki anbieten, sind meistens sehr klein und werden 料亭 (ryotei) genannt. Natürlich findet man viele Ryotei in Kyoto, die Stadt in der Kaiseki entstand. Kyoto war nicht nur Standort des kaiserlichen Hofes für fast 1000 Jahre, sondern auch das Epizentrum der Teekultur. Es gibt sogar eine lokale Version von Kaiseki, 京料理 (kyo-ryouri) genannt.

Das Problem ist, diese kleinen Ryotei zu finden. Sie haben nicht immer eine englische Webseite, wenn sie denn überhaupt eine Webseite haben. Und wenn sie eine haben, sind sie schnell von Touristen überrannt.

Meine beste Idee wäre: Fragt das Hotelpersonal. Dieser Ansatz hat aber das Problem, dass eine Reservierung sehr kurzfristig erfolgen müsste. Packt die Frage am besten schon bei der Hotelreservierung in eine eMail … Ja, man sollte nicht alles über booking.com abwickeln. Diese Seiten sind bequem, aber man hat keinen Kontakt zum Hotel. Man kann nichts erfragen oder um Hilfe und Tipps bitten.

Eine Alternative zu Ryotei sind sogenannte 割烹 (Kappo). Diese sind im Vergleich zu Ryotei etwas günstiger. Allerdings sitzt man hier am Tresen.

Etikette und Dresscode
  • Die Kleidung sollte der Situation angemessen, aber auch bequem sein. Man sollte damit rechnen, dass man auf Tatami sitzt und deshalb die Schuhe auszieht. Achtet also auch lochfreie Socken. Ach ja, barfuß  ist ein no-no.
  • Parfüm und Colognes sollten nicht getragen werden. Sie irritieren nicht nur die eigene Nase, sondern auch die der anderen Gäste.
  • Zum Thema Foto sollte man definitiv vorher um Erlaubnis fragen. Die meisten werden ja sagen, aber darum bitten, den Blitz zu deaktivieren. Achtet definitiv auf die Persönlichkeitsrechte andere Gäste und des Personals im Restaurant. Japaner haben hier ein anderes Verständnis von Diskretion als das westliche Instagram-Proletariat.
  • Beim Essen sollte man sich irgendwie an die Reihenfolge erinnern. Im MICASA gab es einen Zettel, der mir die Gänge erklärte. Der war natürlich in der richtigen Reihenfolge. MICASA war kein traditionelles (= echtes ?) Kaiseki, aber es folgte alle Regeln bezüglich Saisonalität, Regionalität, Farbkomposition usw.
  • Lebensmittelrestriktionen — seien sie religiös, ideologisch oder medizinisch begründet — sollten bei der Reservierung kommuniziert werden. Bei Ankunft im Restaurant ist es zu spät. Es ist kein a-la-carte-Essen. Gleiches gilt für den Verzehr von Alkohol. Sake gehört zum Kaiseki traditionell dazu. Aber jedes Restaurant hat eine Alternative parat; nicht zuletzt, weil in Japan eine 0-Promille-Grenze gilt.

Alternativen zu Sake in Form von Wein oder Bier sind möglich und zählen zu einer zeitgemäßen Interpretation von Kaiseki. Ich empfehle dennoch den Sake; zumindest für die ersten zwei, drei Erfahrungen mit Kaiseki. Danach kann man auch mal eine Weinbegleitung testen, wenn sie angeboten wird. Nur so kann man den modernen Ansatz richtig in den Kontext einordnen. Bei der Wahl des Sake (und der Trinktemperatur) wurde ich mich ohne zu zögern in die kompetenten Hände des Personals begeben. (Ein Tipp der auch für Sternerestaurants gilt. Der Sommelier weiß was er tut. Das ist sein Job. Ich bin kein Sommelier, was weiß ich von Wein, gerade in Kombination mit der Kreation des Küchchefs)

Ryokans haben eigene Regeln. Hier ist es gut möglich, dass Kaiseki auf dem Zimmer serviert wird und man selbst in der Yukata am Tisch sitzt. Sollte das Kaiseki im Speisesaal serviert werden, fragt vorhe nach den Regeln bezüglich Yukata. Dies handhabt jedes Ryokan anders.

Was kostet der Spaß

Kaiseki ist teuer; so ist aber auch Sterneküche in Europa. Die Preise starten bei 50€ und können schnell auf 400€ (pro Person) steigen; Getränke extra, versteht sich.

Die Menüs gibt normalerweise in drei Preisstufen: Sho Chiku Bai (Kiefer, Bambus, Pflaume). Kiefer ist dabei die teuerste Variante. Und wer meint den Begriff von irgendwoher her zu kennen … ja es ist der Name es billigen Sake, dem man hierzulande im Asialaden kaufen kann.

Manche Restaurants bieten eine etwas günstigere Lunch-Version an (40-80€). Kaiseki bleibt für mich aber ein Abendessen. Es soll sogar Bentobox-Varianten geben (ab 20€). Diese Idee finde ich wiederum interessant. Es hätte schon Stil, Kaiseki-Bento an Bord eines Shinkansen auf dem Weg von Tokyo nach Osaka zu essen.

Casual Kaiseki

Hier werden viele Schalen und Schüssel eingesetzt, um Kaiseki zu imitieren. Meist fehlen dann aber Bestandteile oder es werden die ganz zu Anfang definierten Regeln verletzt.

Ich bin ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich ein Casual Kaiseki vom „Real Deal“ unterscheiden könnte (das MICASA hatte ich schon erwähnt). Und ich weiß auch nicht, ob es einen großen Unterschied macht, wenn es gutes Casual Kaiseki ist. Wahrscheinlich sind die Hälfte meiner Kaiseki-Fotos in Wahrheit „Casual Kaiseki“.

Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass ich Kaiseki genossen habe, noch bevor ich wußte, dass es Kaiseki ist oder auch nur was Kaiseki ist. Die erste Fotos sind von 2006. Eingelesen in dieses Thema habe ich mich erst so um 2016; 10 Jahre später, als ich alle aus meiner sIcht wichtigen Orte bereist und auch das Projekt „2004 Reloaded“ abgeschlossen hatte.

狸 .. Tanuki

Tanuki (狸) sind eine feste Größe in der japanischen Mythologie und heißen eigentlich Bakedanuki (化け狸). Optisch sind sie an die real lebenden Tanuki angelehnt, haben aber im Laufe ihre Entwicklungsgeschichte einige Eigenheiten entwickelt, über die noch zu reden sein wird.

Tanuki gehören zu den Yokai, zu den Monstern. Anders als westliche Monster sie Yokai in Japan nicht grundsätzlich oder ausschließlich böse … Es ist kompliziert.

Historie

Wo genau der Tanuki und seine magischen Kräfte her kommen ist nicht restlos geklärt. Ihr Ursprung liegt vermutlich in der chinesischen Folklore. Dort gab es Wildkatzen (Leoparden), die ihre Form wechseln können. Leoparden existieren in Japan nicht. Die Fähigkeiten wurden daher auf ein lokal vorkommendes Tier, den Tanuki übertragen.

Bei dieser Übertragung hilfreich war sicherlich das verwendete Kanji 狸. Es wurde in China für alle kleinen, katzenähnlichen Tiere verwendet. Anfänglich wurde es auch in Japan für viele verschiedene Tiere benutzt. Irgendwann setzte es sich für Tanuki durch. Gut möglich dass damit auch die magischen Kräfte beim Tanuki landeten

Die erste schriftliche Erwähnung eines Tanuki ist im Nihonshoki, das in der Narazeit geschrieben wurde: „in two months of spring, there are tanuki in the country of Mutsu (春二月陸奥有狢), they turn into humans and sing songs (化人以歌)“.

Charakterwandel

Anfänglich (z.B. in im onjaku Monogatari) hatte der Tanuki noch gottgleiche Zaubermacht und war ein durchweg böser Yokai. Einen Tanuki zu töten ganz als Heldentat, über die Lieder gesungen und Geschichten erzählt wurden.

In der Märchen Kachi-kachi yama tötet und isst er eine Bauersfrau. Hier wird er allerdings von einem Hasen ausgetrickst und getötet. (Es ist so ein bischen eine Mischung aus Rotkäppchen und der Geschichte von Hase und Igel).

Dies änderte sich durch den in Japan Fuß fassenden Buddhismus. Er verlor seine Macht und sein böser Charakter verschliff sich zu einem, der den Menschen Streiche spielt, sie vorführt, ihnen aber nichts Böses will. Er bekommt sogar hilfsbereite und aufopfernde Charakterzüge.

In der Erzählung Bunbuku Chagama ändert verwandelt sich ein Tanuki in einen Teekessel der Wasser spendet ohne leer zu werden. Er hilft damit einem alten Mann, erleidet aber jedes Mal Qualen, wenn er aufs Feuer gestellt wird, um das Wasser heiß zu machen.

Viele Tanuki-Legenden stammen aus den Regionen Sadoshima, Niigata-ken und von Shikoku (Kagawa-ken und Tokushima-ken). Es gibt viele Erzählungen über Tanuki. Die drei berühmtesten Tanuki sind wohl (weitere Tanuki-Geschichten findet ihr in den Referenzen erwähnt):

In der Edo-Zeit wandelt sich der Tanuki dann endgültig zum lustigen Gesellen mit derben Humor und Trinkfestigkeit. Heute ist er der Party-Dude unter den Yokai.

magische Fähigkeiten

Im Nihonshoki wurden auch zum ersten Mal seine Zauberkräfte beschrieben. Tanuki können ihre Erscheinungsform verändern. Der Tanuki gilt als Meister der Verkleidung und ist diesbezüglich mächtiger als der Fuchs (kitsune), der sich ebenfalls verwandeln kann.

Damit enden dann auch die  Gemeinsamkeiten. Der Tanuki ist eindeutig männlich konnotiert, derb und draufgängerisch; der Fuchs weiblich konnotiert, elegant und schlau (Füchse haben damit die gleichen Eigenschaften wie in der westlichen Folklore).

Wenn Tanuki Menschenform annehmen, übernehmen sie oft auch menschliche Charakterzüge. „Tanukitypisch“ sind dies dann die Eigenarten von Spielern, Trinkern, Betrügern und Dieben. Diesbezüglich nehmen sie in den Geschichten dann die Rolle ein, die Tiere auch in europäischen Fabeln spielen: Ein Spiegelbild für menschliches Verhalten. Tiere sind heute noch mit menschlichen Charaktereigenschaften verknüft, sei es in Zootopia oder in Beastars.

Tanuki können Menschen teleportieren und haben auch die Fähigkeit kleinere Flüche zu bewirken. Zusammen mit seiner Verwandlungsfähigkeit (und seinen Charakter) benutzt er dies immer wieder, um Menschen einen Streich zu spielen, oder sie vorzuführen (in peinliche Situationen zu locken). Er macht dies in der Regeln aber nicht aus Bosheit, sondern um dem Opfer seine Charakterschwäche zu offenbaren … oder um einfach eine gute und spaßige Zeit zu haben.

Tanuki verlieren ihre Fähigkeiten in der Anwesenheit von Hunden und verwandeln sich zurück in ihre eigentlich Form.

Eigenschaften und Eigenheiten (Darstellung des Tanuki)

Es wird gesagt, dass Kitsune 7 Verkleidungen haben und Tanuki 8 (狐七化け、狸八化け). Dies bezieht sich auf die 8 Eigenschaften bzw. Assessoires, die mit einem Tanuki in Verbindung gebracht werden:

  • ein Hut gegen Schlechtwetter und Unglück
  • eine Sakeflasche (Tugendhaftigkeit — Ok, Japan halt)
  • ein Schuldschein (Vertrauen)
    • große Augen (gute Beobachter und Entscheider)
    • buschigen Schwanz (Stärke und Beharrlichkeit)
    • enormes Scrotum (finanzielles Glück)
    • ein runder Bauch (Entschlossenheit und Beschaulichkeit)
    • ein freundliches Lächeln; soweit dies einem Tanuki möglich ist

Der Hut ist in der Regel ein einfacher Strohhut. In der Nähe von Baseballstadien gibt es natürlich auch Tanuki mit passendem Jersey und Baseballhelm.

Der Schuldschein ist für den Sake, den er hat. Begleichen tut er ihn nie. Alternativ zum Schuldschein gibt es auch Figuren mit einem Kassenbuch oder einem Sack Geld. Letztere findet man oft in Satire, um einen geldhortenden Mönch darzustellen. Interessant vor diesem Hintergrund sind dann natürlich Tanuki in Mönch-Outfit.

Die Sakeflasche ist meist mit dem Kanji 八 für 8 beschriftet, das auf seine 8 Eigenschaften verweist (und damit auch auf sich selbst).

Das übergroße Scrotum ist wohl das herausstechendste Merkmal. Es ist ein Symbol für finanzielles Glück und Reichtum; ich vermute, weil es an einen prall gefüllten Geldbeutel erinnert. Die Größe kann, gerade in älteren Ukiyo-e bizarre Ausmaße annehmen. Schaut einfach mal auf die referenzierten Webseiten. Es gibt sogar einen Kinderreim dazu (die Bedeutung von jugendfrei ist in Japan halt anders):

たんたん狸の金玉は  (Die Hoden von Tan-Tan-Tanuki)
風もないのに (auch ohne Wind)
ぶーらぶら (schaukeln sie hin und her)

Ein Slang für Scrotum/Hoden in Japan ist kintama (金玉), wörtlich übersetzt „goldene Eier“. Der Ursprung dieses Ausdrucks dürften in dem Tanukireim liegen. Aber Vorsicht: heute ist es Jungendsprache, aber auch Gossensprache.

Bilder von Tanukistatuen

Die Tanuki-Statuen findet man überall in Japan. Die moderne Version des Tanuki soll 1936 in Shiga-ken entstanden sein und wird mit dem Töpfermeister Fujiwara Tetsuzo in Verbindung gebracht.

Bei Sichtung meiner Sammlung musste ich feststellen, dass ich nur (exakt) eine Handvoll (also 5) Tanuki fotografiert habe und alle sind hier eingebaut. Für weitere Bilder verweise ich daher auf die referenzierten Webseiten.

Tanuki in Manga und Anime

Der erste Tanuki, der mir hier einfällt ist Hachiemon aus Inuyasha. Schon im Namen ist die Acht (hachi) enthalten. Der Anime ist schon älter und ein Shonen und eher Durchschnitt, stammt übrigens von der gleichen Autorin, die auch Ranma 1/2 geschrieben hat. Man merkt es.

Der wohl aktuellste Anime mit einem Tanuki (2021) ist BNA. Hier ist die Protagonistin Michiru Kagemori ein antropomorpher Tanuki. Innerhalb des Anime gibt es auch Anspielungen auf die Ähnlichkeit zu Wäschbären.

In Pom Poko aus dem Hause Ghibli gibt es eine ganze Gruppe geselliger Tanuki. Da ich diesen Anime noch nicht gesehen habe, kann ich keine Aussagen dazu machen.

Von Zootopia gibt es lokalisierte Versionen. In der japanischen Variante sind die Nachrichtensprecher Tanuki, inklusive — Was es mit dem Blatt auf sich hat, muss ich noch klären. Ich vermute es gilt als Ersatz für den Hut. Ich bleibe da dran.

Tanuki im realen Leben

Tanuki sind Marderhunde und werden auch Waschbärhunde genannt, obwohl sie nicht mit Wäschbären verwandt sind. Der Name kommt von dem Umstand, dass man sie leicht verwechseln kann. Aber, Tanuki haben eine geteilte Gesichtsmaske, Waschbären nicht.

Tanuki sind nachtaktiv und leben in Wäldern und Gegenden mit viel Unterholz. Ihr ursprüngliches Siedlungsgebiete sind Ostsibirien, China, Korea und Japan. Sie wurden wegen ihres Fells (meist als Seefuchsfell bezeichnet) gejagt und auch gezüchtet. Dadurch verbreiteten sie schnell auch im europäischen Gebiet. Sie werden auch überall in Deutschland gefunden. Als Neozoe, die die einheimischen Tierarten bedrohen, sind sie fast überall zum Abschuss freigegeben.

Trivia

Tanuki Soba ist ein Nudelgericht. Es sind Buchweizennudeln mit Agedama (kleine frittierte Flakes aus dem Teig, der sonst Tempura ummantelt). Agedama erzeugt also tanukigleich eine Illusion von Tampura (Gemüse, Fisch oder Fleisch). Eine Variante wäre Tanuki Udon; dann halt mit Udon-Nudeln. — Ich weiß wegen der verwendten Brüche nicht, ob die Gerichte vegetarisch sind.

Referenzen

絵馬 .. Ema

Nach Omikuji wäre dies der Zweite Teil zum dem Thema „Die Götter sind bestechlich“ … Ema sind kleine Votivtafeln aus Holz. Man findet sie in jedem Schrein (und auch in Tempeln), und sie sind extrem fotogen. Ema (絵馬) heißt übersetzt Pferdebild:

  • 絵 = gelesen „e“ ist das Bild;
    絵巻 (emaki) ist die Bildrolle, wobei das Maki das Gleiche ist wie bei maki-sushi; gerolltes Sushi. Wenn man erst einmal den dreh raus hat, eröffnet jedes gelernte Kanji unzählige Möglichkeiten.
  • 馬 = gelesen „ma“ ist das Pferd.
    Es ist eines der Kanji die man schnell verwechseln kann: 馬 = Pferd (uma), 鳥 = Vogel (tori); 島 = Insel (shima). Merkt euch die 4 Füße und die wehende Mähne des Pferdes. Es ist auch der linke Teil vom Kanji für Bahnhof: 駅 (eki). Das wäre die zweite Eselsbrücke: Postkutsche mit Pferden = Vorläufer der Eisenbahn“
Historie – das Pferd (馬)

Obwohl heute in Schreinen sehr populär liegt der Ursprung im Buddhismus. Früher gab den Brauch, Wildtiere zu fangen und dann wieder frei zu lassen, um so gutes Karma zu erwerben. (Inwieweit dies dann das schlechte Karma durch das Fangen des Wildtieres aufwiegt, sei offen gelassen.) Der Brauch schwappte in den Shinto über.

Nara-Epoche (710-794): Die Tiere wurden geopfert, aber nicht getötet, sondern auf dem Schreinareal gehalten. Pferde, gerade weiße, hatten dabei einen hohen Status als Opfergabe, da sie sehr wertvoll waren. Zudem waren sie das Tier mit dem die Götter auf die Erde hinab stiegen. Sie waren also ein göttliches Transportmittel. Die dem Schrein geopferten Pferde wurden Shinme (神馬, göttliche Pferde) genannt.

  • 神 = kami oder shin gelesen; bezeichnet shintoistische Götter (vgl.: shin-to = Weg der Götter.)
  • 馬 = ma oder auch me gelesen; das Pferd

Das Engishiki nennt beispielsweise schwarze Pferde als Opfer für Regen und weiße Pferde als Opfer für klares Wetter. Weiße Pferde galten dabei allgemein als wertvoller. Samurai opferten Pferde, um für den günstigen Ausgang einer Schlacht zu wünschen.

Am Itsukushima Jinja steht direkt am Eingang ein Stall, mit der Statue eines weißen Pferdes. Mit dem obigen Text wird klar, wieso.

Historie – das Bild (絵)

Heian-Epoche (794-1192): Mit der Zeit ging man von lebenden Pferden (und anderen Tieren) zu Statuen und Bildern über. Dahinter stehen vermutlich finanzielle (Anschaffungskosten) und logistische Gründe (Versorgung der Tiere im Schrein). Der früheste Fund eines „Pferdeersatzes“ datiert auf das Jahr 1013 in Form von drei Papierpferden als Opfer an den Kitano Tenjin.

Kamakura-Epoche (1185-1333): Mit der Erstellung der Statuen und Bilder wurden vermehrt auch Kunsthandwerker und Künstler (z.B. Hokusai) beauftragt. In Tempeln wurde die Erstellung der Ema auch von den Priestern übernommen (und stellte eine zusätzliche Einnahmequelle dar).

Muromachi-Epoche (1336-1573): Die Verwendung großer Holztafel, oema genannt, setzte sich langsam durch. Gleichzeitig begann die Form der Tafeln und die Abbildung zu varrieren. Dargestellt wurden neben Pferden auch buddhistische Gottheiten wie Kannon und Jizo und Ikonographien aller Art: von Phallussymbolen (z.B. für den Wunsch nach Fruchtbarkeit / Nachwuchs) bis hin zu militärischer oder pazifisischen Symbolen. Die Wünsche wurden damals noch nicht auf das Ema geschrieben sondern bildlich dargestellt.

Im Laufe der Zeit wurden die Bilder immer kleiner. Die Bildsymbolik wich der geschriebenen Form des Wunsches; nicht zuletzt vorangetrieben durch die steigende Alphabetisierung des Volkes. Am Ende der Entwicklung steht die heutige Form der Votivtafeln: ein eher einheitliches Design in Kombination mit hoch individualisierten, geschriebenen Wünschen.

Ema heute

Heute haben Ema in der Regel eine mit einem Bild bedruckte Vorderseite und eine leere Rückseite, auf die man seinen Wunsch schreiben kann. Sie sind etwa 9x15cm groß.

Das Bild auf der Vorderseite variiert unabhängig vom Wunsch. Meist sind an einem Schrein mehrere Optionen (teilweise saisonal begrenzt) zu bekommen. Pferdedarstellungen sowie Bilder des aktuellen Erdkreiszeichens (chinesischer Kalender; 2021 ist das Jahr des Rindes/Büffels) sind eigentlich immer verfübar. Letztere werden besonders zu Jahresbeginn (Hatsumode) gekauft.

Neben Neujahr bescheren auch die Aufnahmeprüfungen für Schulen und Universitäten bzw. der Start ins Berufsleben den Ema Hochkonjunktur. Der Schulstart / Semesterbeginn und auch der Start des Berufslebens ist in Japan traditionell Anfang April (fast zeitgleich mit der Kirschblüte).

Die Ema werden öffentlich aufgestellt. Dies hat auch gesellschaftliche Gründe, zeigt es doch, das ein Mitglied der Gemeinde einen Wunsch hat mit dem es sich an die Götter (oder die Priester) wendet.

Ein Ema benutzen

Dies ist denkbar einfach. Man kauft es direkt auf dem Schreingelände. Der Preis schwankt je nach Größe, Design und Schrein zwischen 500yen und 2000yen. In der Regel kann man zwischen verschiedenen Preisstufen wählen.

Man schreibt den Wunsch auf die Rückseit und sollte dafür einen wasserfesten Stift nehmen; nicht dass der erste Regen den Wunsch wegspült. Der Wusch muss konkret sein, je präziser, desto besser. Ein Satz der mit „Ich hoffe …“ beginnt, ist also falsch.

Bei den Wünschen selbst gibt es keine Limits, solange sie auf die Rückseite passen. In der Regel sind Wünsche bei Schrein-Ema eher weltlicher und bei Tempel-Ema spiritueller Natur.

Außerdem gilt: Nur ein Wunsch pro Ema; nicht gierig werden. Man kauft auch nur ein Ema; ein Wunsch zur Zeit. Traditionell endet der Wunsch mit Angabe von Namen und Anschrift. Heute beschränkt man sich meist auf Initialen und die Präfektur, denn es gibt auch in der offline-Welt Individuen, die diese Angaben missbrauchen und z.B. den Wunsch nach Liebe und Romantik falsch interpretieren.

Anschließend hängt man das Ema zu den anderen an ein großes Gestell beim Schrein.

Mein „Hausschrein“ ist der Yushima Tenmangu, der in Nachbarschaft zum Hotel Edoya liegt. Es ist ein Gelehrtenschrein, der auch in umittelbarer Nähe zur ToDai steht. Entsprechend viele Wünsche treffen für eine Aufnahme an diese angesehene Uni gehen hier im März / April ein. Statt einiger hunderte Ema hängen dann Zigtausende Ema am Gestell neben der Haupthalle.

Die Ema werden irgendwann abgenommen und in einer Zeremonie verbrannt. Dabei wird der Wunsch symbolisch freigesetzt und in die Welt getragen (und an die Götter gerichtet?).

Nachdem der Wunsch erfüllt wurde, besucht man erneut den Schrein, um sich bei den Göttern zu bedanken. Dies erfolgt normalerweise in einem Gebet. Im Prinzip können aber auch die Ema benutzt werden, um sich bei den den Göttern zu bedanken.

Wichtig: Es ist unhöflich den Wunsch anderer Ema zu lesen. Die Ema sind Briefe an die Götter und im Prinzip gilt das Briefgeheimnis.

An alle, die Ema fotografieren, versucht eine Bildkomposition, die den Wunsch nicht zeigt oder zumindest nicht vollständig. Wenn ein Name (samt Adresse) auf dem Ema steht, verdeckt ihn; notfalls mit Photoshop. Auch wenn es in Kanji und Hirigana geschrieben ist, gibt es Leute wie mich, die das lesen können. Und es kann auch in Japan Ärger geben, wenn solche Bilder veröffentlicht werden. Steht der Server in Deutschland, ist es sogar ein Verstoß gegen die DSGVO.

Man kann den Wunsch in Form des Ema auch mit nach Hause nehmen. Allerdings sollte man darauf achten, dass nach Erfüllung des Wunsches das Ema zurück in den Schrein gebracht wird, um es zu verbrennen. Ema werden nicht weggeworfen. Ist der Schrein, aus dem das Ema stammt, zu weit weg, kann als Ersatz auch der lokale Hausschrein aufgesucht werden.

Sonderformen der Ema

Auch wenn die Form des Ema heute relativ standardisiert ist, gibt es immer noch eine große Vielfalt. Man muss nur etwas suchen.

Am Fushimi Inari Jinja in Kyoto hat das Ema eine abweichendes Design in der Form aus Fuchskopfes. Dabei ist auch die Vorderseite mehr oder weniger leer und man kann sein eigenes Bild malen. Der Wunsch kommt wie gewohnt auf die Rückseite. — Daneben gibt es auch Ema in Form kleiner roter Torii. Ich empfehle diese wegen der begrenzten Schreibfläche für kürzere Wünsche.

In Tokyo gibt es die Tokyo Jissha; 10 Schreine, die den Kaiserpalast umgeben. An jedem Schrein kann man ein kleines Ema (nur wenige cm groß) kaufen. Hinzu kommt ein großes Ema, auf das die kleinen geklebt werden. Hier werden keine Wünsche notiert. Stattdessen ist es ein geniales Souvenir.

Ich habe zwei Stück. Eines habe ich am Neujahrstag 2013 gesammelt, das andere am ersten Tag der Reiwa-Epoche (01.05.2019). — Man braucht mindestens einen Tag. Das hin und weg zu den Bahnstationen kostet viel Zeit und es ist gut möglich, dass man mit dem Fahrrad schneller ist. — Die kleinen Ema kosten 200yen und das große 1000yen. Alles zusammen sind es dann 3000yen (plus das Tagesticket für JR und U-Bahn für knapp 1600yen; JRP-Besitzer reicht ein Subway Day Pass für 900yen; Stand 2021).

Der Tsuyu-no-ten Jinja (Osaka, nördlicher Stadtteil) ist verknüpft mit dem Theaterstück Sonezaki Shinju (The love suicide at Sonezake) und wird daher in Verbindung mit Liebe gebracht. Die Ema haben Herzform.

Der Usa Jinja in Oita benutzt lackierte Flaschenkürbisse. Ich habe diese auch am Dazaifu, Fukuoka gesehen.

Sehr aufwendig gearbeitet sind die Ema am Tamatsukuri Inari Jinja. (Osaka, Stadtmitte). Es sind geschnitzte Tafeln die zwei Füchse darstellen, die eine Herzform bilden. Der Schrein wird  für Glück in der Liebe und im Eheleben aufgesuch

Der Kabushima Jinja (Aomori) hat Ema im Form eines Hammers, wie ihn auch der Glücksgott Daikokuten benutzt.

Ich vermute, dass die Vielfalt, auch durch Touristen aus dem Westen zunehmen wird. Wir dürfen nicht vergessen, Ema sind eine große Einnahmequelle für Schreine.

Ein weiterer Boost für die Ema ist die steigende Popularität von Manga und Anima. Schreine  und Tempel, die in einem Anime gezeigt werden, erleben immer häufiger kurz darauf einen Anstieg an Besuchern; zuletzt erfuhr dies der Hachiman Kamado Jinja in Oita-ken durch den Mange/Anime Demon Slayer (hier war es die Namensgleichheit mit dem Protagonisten Tanjiro Kamado).

Referenzen
https://sukisukijapan.com/what-is-japanese-ema/
https://wikimili.com/en/Ema_(Shinto)
https://wikimili.com/en/Ema_(Shinto)
https://de.wikipedia.org/wiki/Ema
https://en.wikipedia.org/wiki/Ema_(Shinto)
[erstellt: 16.02.2021]

Manhole Cover … it’s a thing, I suppose

Man kann auf einer Japanrundreise viele Dinge als Souvenir sammeln. Hello-Kitty-Schlüsselanhänger waren ein Ding; gefühlt vor 10 Jahren. Goshiun, Stempel, Tenugui, … Ich müsste da mal eine Liste machen. Man kann eine Fotosammlung starten. Ich zum Beispiel mache immer ein Foto vom Stationschild am Bahnhof.

Und dann sind da Kanaldeckel. Mir sind die Designs bei der ersten Reise 2004 aufgefallen. Aber es muss die dritte oder vierte Reise gewesen sein, als ich realisierte, dass das echt ein Ding ist und wirklich jede Stadt ihr eigenes Design hat. Japan hat völlig langweilige Kanaldeckel auf ein neues Level erhoben.

Es gibt Drainspotter, die Fotos von Kanaldeckeln sammmeln wie andere Leute Baseball-Karten, Pokemon oder „whatever floats your boat“. Es gibt sogar die Japanese Society of Manhole Covers (日本マンホール蓋学会). Deren Webseite listet 6000 verschiedene Designs. Beachtlich, wenn man bedenkt das nur etwa 1800 Städte und Regionen gibt, die ein eigenes Design haben. Auf der anderen Seite sind das über 95% aller Städte und Regionen in Japan.

Meine eigene Sammlung ist dagegen erbärmlich. Was für meine Sammlung spricht ist einzig, dass es alles meine Fotos sind (und ich regelmäßig vergesse, in einer neuen Stadt nach dem Motiv zu suchen).

Geschichte

Alles begann in den 1980ern, als in das Abwasserkanalsystem gerade in der ländlichen Region modernisiert wurde. Die hohen Kosten sorgten verständlicherweise für Ablehnung bei denen, die die Kosten zu tragen hatten. Folglich wurde den Verantworlichen das Ganze schmackhaft gemacht, indem das Coverdesign die lokale Identität und Stolz wiederspiegeln kann.

Es ist etwas schwer zu verstehen, wie lokaler Stolz bei etwas repräsentiert werden kann, dass einen Abwasserkanel verschließt und wortwörtlich mit Füßen getreten wird. Aber es scheint zu funktionieren.

Bei den Manhole Cover gibt es zwei Versionen, die reine Gusseisen-Version und die farbige Version. Bei letzterer werden die Vertiefungen im Deckel mit Farbe ausgefüllt. diese Deluxe-Variante zeigt, dass das Thema eine Eigendynamik bekommen hat, von „schmackhaftmachen der Kosten“ hin zu „Visitenkarte“. Das wird auch bei den Preisen deutlich: Ein Stadarddeckel kostet 500€, eine farbige Sonderversion dagegen 3000€.

Design

Die Kanaldeckel zeigen ein für die Region/Stadt typische Szene (z.B. Blumen, Landschaften, Festivals, …). Teilweise gibt es verschiedene Versionen (z.B. Hakodate). Andere Cover verweisen auf die lokale Sportmannschaft (z.B. Fukuoka, Saitama). — Und ich muss zugeben. Einige Design sind wirklich etwas besonderes.

Und wie immer treibt es Japan eine Stufe weiter auf 11. Es gibt die Designs als Souvenir auch als Untersetzer oder Schlüsselanhänger. Und es gibt ein jährliches Treffen.

Der neueste Trend sind Mangefiguren und -themen sowie „Sonderausgaben“, die spezielle Ereignisse dokumentieren. Kein Witz.

Herstellungsprozess

Das Desgin wird zunächst als Holzschnitt erstellt. Davon wird eine Sandform als Negativ gefertigt, die als Gußform gilt. Für jeden Deckel muss folglich ein neues Sandnegativ erstellt werden. Nach dem Gießen wird der Deckel sandgestrahlt. Bei farbigen Deckeln werden dann die Vertiefungen mit gefärbten Kunstharz ausgefüllt.

nicht nur Kanaldeckel

Neben Kanaldeckel finden sich auch Deckel für Absperrventilen (z.B. Gas oder Wasser) sowie Hydranten. Bei den Absperrventilen sind mir noch keine Sonderformen aufgefallen. Ihre Größe ist wahrscheinlich nicht ausreichend für ein spezielles Design. Bei den Deckeln für Unterflurhydranten ist das anders. Allerdings ist die Anzahl der verschiedenen Desings sehr übersichtlich.


Links:
Japanvisitor
Manhole Covers Japan – The Mindcircle
Street art; Japanese Manhole Cover – CBS News
Japanese Manhole Cover Flickr Group (etwa 2500 Bilder)

Buchtip: Remo Camerota; Drainspotting; ISBN 978-0982075470
Das Buch scheint ein Standarwerk zu sein, da ich einen Link auf mehreren Drainspotter-Webseiten gefunden.

Manhole Cover Hokkaido: Hakodate tritt gleich mit 3 verschiedenen Deckeln an: die Festung Goryokaku, die russisch-orthodoxe Kirche in Moto-Hakodate und natürlich Ika, für die Hakodate berühmt ist. Von der Kirche habe ich sogar zwei Versionen gefunden. Und ich war nur 2 Stunden in der Stadt unterwegs.

 

Manhole Cover Tohoku: Naruko: zwei Kokeshi-Holzpuppen, die aus dieser Region kommen ++ Kakunodate: als ehemalige Samuraistadt natürlich ein Samurai-Thema.

Manhole Cover Kanto: Mito: idealisierter Flussverlauf des Nakagawa und Pflaumenblüten, für die der Kairaku-en berühmt ist; die zweite Version zeigt Mitochan, das Stadtmaskottchen. ++ Kawasaki: Motto „Colors, Future!“ der Stadt ++ Saitama: Eine ist dem lokalen Fußballverein gewidmet. ++ Odawara: Burg und Lastenträger, die einen Passagier über den Sakawa tragen. Odaware war eine der 53 Post Towns am Tokaido. ++ Yokohama: Bay Bridge

Manhole Cover Chubu: Shirakawa-go: Dachform der traditionellen Häuser dieser Region ++ Yudanaka Onsen: badenden Affen und den Schriftzug O-saru no Onsen (saru = Affen)

Manhole Cover Kansai: Amanohashidate: die berühmte Sandbank ++ Himeji: Burg ++ Ikaruga: Pagode des Horyu-ji, des ältesten Tempel in Japan ++ Shimamoto: Fluss Yodogawa ++ Uji: Brücke, die hier über den Ujigawa führt. (Ich hätte wohl den Byodoin gewählt.)

Manhole Cover Kansai: Hiroshima: Origami-Kraniche, die im Peace Memorial Park am Children Memorial zu tausenden zu finden sind. ++ Okayama: habe ich noch nicht entschlüsselt

Manhole Cover Shikoku: Hier muss ich noch die Informationen zusammentragen.

Manhole Cover Kyushu: Die Standardkanaldeckel von Fukuoka habe ich vergessen. Es gibt aber eine Sonderversion rund um das Baseball-Stadium der Softbank Hawks. ++ Kashima: Eingangstor des Yutoku-Inari-Jinja.

Hier drei Kanaldeckel bei den ich den Ort nicht notiert habe:

weitere Schachtdeckel

Tendo: Shogisteine, für die die Stadt berühmt ist. ++ Mito: Koubuntai, das im brühmten Park Kairaku-en steht. Der zweite Schachtdeckel von Mito zeigt den stilisierten Flusslauf des Nakagawa, der durch Mito fließt.

 

Hydrantendeckel

Die Stangen mit den langen Streifen, die man unter anderem auf den Deckeln von Onomichi, Sawara und Chichibu findet, sind die traditionellen Stander der Feuerwehr in Japan.


Hinweis: Wegen der vielen Bilder auf diese Seite habe ich sowohl die Auflösung als auch die JPEG-Qualität reduziert.

Onsen-Crash .. Was der Reiseführer verschweigt

Auf der Suche nach dem ultimativem Onsenerlebnis sucht man im Netz nach dem besten Urlaubsort mit einer langen Onsentradition, man wählt ein pittoreskes Ryokan. Im realen Leben sieht das dann anders aus und nicht wie auf dem Foto. (Es gibt einen Grund, warum viele Onsenorte eine Nachtaufnahme zeigen.)

Higashiyama Onsen
wäre aktuell (Stand 2018) das Paradebeispiel. Im Reiseführer findet man dieses Bild:

Bildquelle: japan-guide.com
Bildquelle: japan-guide.com; absichtlich keine Bild von mir damit man sieht, dass ich hier nicht flunker.

Und ja, genau an dieser Stelle sieht es genauso verträumt aus. Aber links sieht man schon einen hässlichen Betonklotz von Hotel; versteckt hinter dem Baum ein zweiter in rosa. Die Straße dahinter offenbart das ganze Problem: Es gibt quasi keinen Dorfkern mehr.

Weiter hinten, etwas abgelegen, gibt es noch einen weiteren großen Betonklotz von Hotel. Die Landschaft hat das Zeug für einen entspannten Urlaub, Aizu-Wakamatsu ist nur ein paar Busminunten entfernt. Eigentlich ideal. — Ich war 2018 kurz dort und war heilfroh, dass ich meine Reiseroute umgeplant hatte.

Naruko Onsen …
liegt abgelegen in den Bergen von Tohoku. Nur wenige Ausländer verirren sich hierher. Ich habe den Ort 2004 und 2014 besucht. Bereits 2004 fiel auf, dass der Ort schon besser Zeiten gesehen haben muss: Es gab Leerstand in der Hauptgeschäftstraße und viel Rost (Wellblechwände und -dächer). Ich dachte, das wäre normal für eine so abgelegene Gegend, wo viele junge Leute lieber in den Stadt abwandern. 2014 war der Leerstand gefühlt enorm.

Yudanaka Onsen
hat eigentlich eine sehr gute Lage: Es gibt eine direkte Zugverbindung nach Nagano. Es liegt am Anfang eines der besten  Skigebiete Japans (Shiga-Kogen, Olympische Winterspiele 1998). Die badenden Affen, die man aus dem Reiseführer kennt, wohnen auch hier in den Bergen. Dennoch: Läuft man durch Yudanaka (ich war 2004, 2012 und 2014), wirkt der Ort trostlos, alt und leer. Gerade Abends fehlten mir attraktive Izakaya.

Bildquelle: japan-guide.com
Bildquelle: japan-guide.com

In Minakami Onsen
angekommen wird man direkt am Bahnhof von einer Ladenzeile begrüßt, die traumhaft ist. Der erste Blick macht Hunger auf mehr.

Minakami – street in front of the station

Geht man dann aber vom Bahnhof zu Fuß runter in die Stadt, wird man sofort ernüchtert: leerstehende Hotelruinen, leerstehende Geschäfte, eine verfallene Brücke und eine menschenleere Hauptstraße (obwohl es Ende der Golden Week war).

In einer knapp 50m langen Baulücke stand ein größes Plaket, das einen riesigen Stadtplan zeigt. Gleich daneben, war der gleiche Plan etwas kleiner noch einmal montiert, um mehrere leerstehende Häuser zu kaschieren. Kurz: Minakami war nur ein Schatten seiner Vergangenheit.

Dieser rote Faden zieht sich durch nahezu alle Onsenorte; mal stärker (Atami Onsen), mal weniger (Kurokawa Onsen). Etwas Vergleichbares gibt es in Deutschland in der Form nicht. Stellt euch vor in Travemünde wäre die Kurpromenade ohne Touristen und es gäbe nur noch 5 geöffnete Geschäfte auf der gesamten Straßelänge.

Ursache #1: Onsen-Crash (am Beispiel Atami Onsen)

Mit dem Wirtschaftswunder der 50/60er Jahre stieg auch die Reiselust der Japaner. Die bis dahin eher verschlafenen Onsenorte wurden förmlich überrannt. Onsen waren ideale Orte für Flitterwochen. Firmen belohnten Mitarbeiter mit Urlaubsreisen oder starteten Betriebsausflüge, um den Teamgeist zu fördern.

Große Hotels mit hunderten von Zimmern schossen wie Pilze aus dem Boden, um die Touristen aufnehmen zu können. 1964 startete der Shinkansen mit einer Reisegeschwindigkeit von 200 km/h. Atami lag an der Strecke und war nun in 45 Minuten von Tokyo aus erreichbar. Hinzu kam die zunehmende Mobilität durch das Auto.

Atami – View from the Castle

Das Maximum war Mitte der 70er. Das Wachstum stockte. Es begann der Zeit der Eigentumswohnungen. Mitte bis Ende der 80er war die Zeit der Bubble Economy. Die Immobilienpreise explodierten (500% in 5 Jahren). Alles schien am Markt möglich … und in Atami wurde gebaut, gebadet und spekuliert.

Und dann kam der Dämpfer: Die Bubble Economie platze 1990; implodierte förmlich. Die folgende Rezession dauerte über 10 Jahre (ushinawareta juunen; das verlorene Jahrzehnt). Gehälter wurden knapper. Der Onsenurlaub fiel aus. Die Gäste, vor allen die Übernachtungsgäste, blieben fern. Waren es 1991 noch 4.4 Millionen Gäste in Atami, kamen 2010 gerade noch knapp 2 Millionen.

Die Folge waren Leerstand bei Hotels und Geschäften (vornehmlich Restaurants und Souvenirläden). In der Folge wurden auch Fischer arbeitslos: keine Gäste, kein Abendessen, keine Abnehmer für Fisch.

Ein Rückgang von 50% in den Besucherzahlen über 20 Jahre klingt jetzt nicht dramatisch. Aber sie markieren einen über 20 Jahre andauernden Rückgang. 20 schlechte Jahre für Hotels und Läden. Das zehrt jede Finanzreserve auf.

Von 65 Fischgeschäften in Atami existieren nur noch 4. Die Krise traf die gesamte Stadt, nicht nur die Hotelbranche. Geschäfte und Handwerskbetriebe schlossen. Leute zogen weg, wenn sie konnten.

Wie die Onsenstädte heute aussehen, steht natürlich in keinem Reiseführer. Man sieht nur die Highlights.

weitere Ursachen

In Narako Onsen gab es einen weiteren Dämpfer Ende der 2000er: den Wegfall einer Hauptattraktion. Der Ort ist berühmt für die Schlucht, die gerade zur Herbstlaubfärbung ein Touristenmagnet ist / war. Nach einem Taifun (war es 2010?) gab es mehrere Felsstürze und der Wanderweg durch die Schlucht wurde gesperrt.

Ich selbst bin 2004 noch durch die Schlucht gewandert; eine meiner favorisierten Erinnerungen aus 2004. Der Wegfall der Schlucht sorgte nach dem Ende des Onsen-Crash dafür, dass die Gästezahlen sich nicht erholten, sondern noch weiter zurück gingen.

Yudanaka Onsen kämpft mit einer weitere Folge des Onsen-Booms: dem alles-inklusive-Ansatz der großen Hotelburgen. Diese bieten dem Hotelgast alles unter einem Dach: Kneipen, Karaoke, Spielhallen, … Die Gäste blieben drinnen und die Straßen leer. Die Kneipen und Souvenirläden gingen pleite. Die Geschäftststraße verweiste. In der Folge starben die kleinen Hotels und Ryokans, die kein entsprechendes Rahmenprogramm bieten konnten pleite.

Das ist im Prinzip auch der Zustand, in dem wir Minakami Onsen vorfinden: die Straße ist leer, die Geschäfte verwaist.


Ein Neustart in Minakami Onsen

Minakami Onsen versucht einen Neustart. War die Zielgruppe früher der Renter, der die therapeutische Wirkung der Onsen sucht, so war es in Bubble Economy der Salarieman (サラリーマン) der eine Auszeit vom Alltagsleben suchte. Das reicht heute nicht mehr. Es braucht ein Rahmenprogramm. Die neue Zielgruppe ist ein junges Publikum, dass den Urlaub als Erlebnis (und Instragramkulisse) sucht. Minakami macht daher Werbung mit Whitewater Rafting, Canyoning, Bungee Jumping und Co. Gleichzeitig hat dieses Publikum ein begrenztes Budget und so liegt entstehen viele Hostels und Backpacker-Hotels.

Ich war 2019 in Minakami Onsen. Das Ryokan MICASA war traditionell und modern zugleich: Ein Tatamizimmer und ein traditionelles Speiseraum. Gleichzeitig fanden sich Farben wie rot und blau an der Wand. Alles wirkte modern und trendig ohne den Charme der alten Ryokans zu negieren. Das Essen ein Gedicht. Da wird selbst jemand wie ich zum Salat- und Konyaku-Fan.

Das Bier kam von der lokalen Craftbier-Brauerei Octone, die nur ein paar hundert Meter entfernt ihren Sitz hat. Kneipentechnisch muss sich noch einigen tun. Ich habe im Prinzip nur das Ruins besucht, das von einem Exilamerikaner betrieben  wird, den es hierher verschlagen hat.

Aber der Ort hat Potential. Die Anreise mit dem Zug ist etwas zeitaufwendig, aber lohnt sich. Minakami bietet neben dem erwähnten Aktivurlaubangebot die Möglichkeit zu Tagesreisen nach Takaragawa Onsen und Hoshi Onsen. Das Skigebiet Echigo-Yuzawa ist auch gut erreichbar. Und: Minakami gehört noch zur Kanto-Region und ist damit auch mit dem JR Kanto Pass erreichbar. — Ich bin gespannt wie das in ein paar Jahren (2024?) aussehen wird.

Ein Neustart in Atami Onsen

Atami Onsen geht den gleichen Weg und wiederbelebt mit Cafes und Hostels in der alten Einkaufsstraße den Stadtkern. Entsprechende erste Projekte starteten um 2010. Kleine Cafes, Guest Houses, Hostels. Das scheint der neue Weg sein. Das große Resort-Hotel scheint ausgedient zu haben.

Manche Guest Houses haben Gemeinschaftsküchen. Das spart den teuren Restaurantbesuch. Die Lebensmittel gibt es in der Einkaufsstraße. Der Fehler der Vergangenheit (alles unter einem Dach) wird so vermieden. Ich persönlich finde den Ansatz genial, wenn ich auch kein Fan von Hostels bin. Statt sich ein einem Hotel zu verschanzen, wohnt man quasi kurz in Atami.

Hotels vresuchen neue Konzepte. Kunstinstallationen,  Aktivurlaub, individuell designte Zimmer. Und dann ist da natürlich das Onsen und regelmäßige Feuerwerke im Sommer.

Und die Wende scheint geschafft. Ende der 2010er waren es schon wieder 3 Millionen Gäste. Selbst die Geisha kommen zurück; ebenfalls mit neuen Konzepten. Ich hoffe nur, dass die kein Sell-Out dieser Tradition wird. Gion-Corner in Kyoto ist für mich reiner Tourismus und wird der Geisha-Kultur nicht gerecht.

Daneben haben sich zwei weitere Standbeine etabliert: Die verlassenen Gebäude (und Straßenzüge) sind heiß begehrte Filmkulissen. Atami mausert sich zu einer kleinen Filmstadt. Allein in 2019 waren es knapp 100 Produktionen.

Andere Geschäftsräume werden umfunktioniert, als „working space“ für die IT-Branche. Atami profitiert hier von der Nähe und Shinkansenanbindung an Tokyo. Wer Geld hat und aus dem Home Office arbeiten kann, zieht aus Tokyo hierher.

Neustart in anderen Onsenorten

Yufuin Onsen und Yudanaka Onsen versuchen es mit eigenen Ansätzen: Hotelgäste haben die Möglichkeit, mit einem Pass die Onsen anderer Hotels zu besuchen. Das Angebot ist begrenzt auf 3 oder 5 Hotels und meist auch auf die Zeiten tagsüber eingegrenzt, in denen die eigenen Hotelgäste unterwegs sind.

In Kurokawa Onsen kann man sogar als Tagesgast einen solchen Pass für 5 Besuche erwerben. Und wenn man Lust auf mehr hat, dann man natürlich einen weiteren 5er-Pass kaufen, den man am Ende als Souvenir behalten kann.


Keine Sorge habe ich bei Shibu Onsen. Es ist der Ort neben Yudanaka. Während Yudanaka den Banhhof hat, hat Shibu die badenden Affen. Beide Orte und das Skigebiet Shiga-Kogen, das hier beginnt, werden oft also Yamanouchi zusammengefasst.

Shibu Onsen  hat 9 „public onsen“. 2004 durften noch Gäste aus Yudanaka diese Onsen besuchen, in 2012 bekamen nur noch Hotelgäste aus Shibu Onsen selbst den Schlüssel. Der Besuch der 9 Onsen und das Abstempeln des Tenugui [2004][2012][2014] ist ein Highlight und es bringt die Leute auf die Straße.

Stamp Towel 2010 aus Shibu Onsen
Stamp Towel 2010 aus Shibu Onsen

COVID-19

Als Folge des Pandemieausbruchs wurden im März 2020 die Grenzen geschlossen. Kein Ausläner drufte mehr ins Land; nicht einmal diejenigen, die einen Wohnsitz in Japan hatten. Im August wurden die Restriktionen gelockert, aber eine Einreise zu touristischen Zwecken ist weiterhin untersagt. In Orten wie Atami, die durch die Nähe zu Tokyo auch stark von Ausländern frequentiert wurde, brauchen die Gästezahlen um 80% ein. Noch ist unklar, wie sich das langfristig auswirkt. Viele junge Geschäfte werden aber nicht die finanzielle Basis haben, um diese Krise zu überstehen.