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.. „Nordmeergebiet“. Es ist die nördlichste japanische Insel. Sie bildet gleichzeitig die gleichnamige Präfektur. Große Städte gibt es abgesehen in Sapporo nicht, dafür viel Landschaft. Der Rishiri-Rebun-Nationalpark und das Daizetsuzan-Nationalpark seien an dieser Stelle erwähnt.

Soya Misaki (mehr Norden geht nicht)

[Ich bin aus der Wildnis zurück und kann wieder bloggen. In der letzten Woche ist viel passiert; Ich werde alles in den nächsten Tagen hier posten; mit korrigiertem Datum. Ähm … Das macht es etwas albern, diese Textpassage in diesen Post zu schreiben … Aber der Reihe nach und im Präsens. Ich kann diesen Blog einfach nicht im Perfekt schreiben.]

Heute geht es um 16:40 mit der Fähre nach Rishiri. Bis dahin sind, nach ausgiebigem Frühstück, sechs Stunden zu überbrücken. Auf nach Soyamisaki (der nördlichste Punkt Japans). Ein Bus fährt, aber ich hätte nur wenige Minuten für Fotos und würde die Fähre nicht kriegen. Was nun? Ich leihe mir ein Fahrrad; ein japanisches Modell, das viel zu klein für mich ist. Das wird ein Spaß. 20km hin und zurück.

Der Spaß wird größer, als ich nach geschätzter halber Strecke ein Schild mit „Soyamisaki 21km“ lese. Soviel zu den 20km aus dem Reiseführer. Egal. Der Rückenwind läßt mich gut vorankommen und ich schaffe die Strecke in 95min. Die ersten 5km ging es durch Wakkanai. Danach ging es immer am Wasser entlang. Eine einzige langgezogen Linkskurve. Landspitze voraus. Soyamisaki? Bei weitem nicht. Hinter jeder Kurve geht es weiter.

Ich schaue zurück. Wakkanai. Und ganz rechts der zweitnördlichste Punkt. Ganz schön weit weg. Ich bin schon ein ganzes Stück geradelt. Mir graut vor dem Rückweg. Der wird viel Gegenwind haben. Das Ortsschild Soyanaka habe ich schon passiert. So weit kann es nicht mehr sein. Dann endlich erblicke ich ein Denkmal und einen großen Parkplatz. Das muß es sein. Glück gehabt.

Ich genieße den Erfolg: nördlicher geht es nicht in Japan: 45°31′ N. Der nächste Landpunkt in Richtung Norden ist Sakhalin (Rußland). Viele Touristen sind hier nicht. Ich mache ein paar Fotos und kaufe im Souvenirshop eine Fahne. Kitschig, ich weiß, aber es muß sein. Das ist so ein „Ich war hier“-Ding.

Der Rückweg ist lang, aber nicht so beschwerlich, wie ich dachte. Ich bin gut in der Zeit. Ich muß zugeben, daß ich mit diesem Rad die 62km nicht noch einmal fahren würde (zumindest nicht innerhalb von 4,5 Stunden). Wenn ich vorher gewußt hätte, daß eine Richtung 31km sind, hätte ich nicht einmal den Versuch unternommen. Jetzt bin ich aber auch glücklich, die Tour gemacht zu haben. Soyamisaki mit dem Fahrrad. Das kann mir keiner nehmen.

Zurück in Wakkanai gilt es, das Fahrrad zurück zu bringen und mit dem Koffer runter zum Anleger zu flitzen. Im Hotel erwartet mit das Rezeptionspersonal mit fragenden Augen. Ich schwenke kurz die Fahne. Die haben wohl nicht gedacht, daß ich das wirklich durchziehe. Die Fähre schaffe ich spielend, aber mein Blutzucker ist im Keller. Ich fühle mich wie eine offene Selters. Die Strecke war doch etwas zu lang. Und zu viel Sonne habe ich auch abbekommen.

Auf der Fähre kann ich entspannen. Sogar hier gibt es einen Tatamiraum. Ich ziehe das Freideck vor. Wie verlassen den Haufen von Wakkanai und umrunden die Spitze, die ich gestern besucht habe. Rishiri taucht auf. Diese Pause tut gut. Die Überfahrt ist ohne Vorkommnisse.

Am Anleger auf Rishiri wartet sogar ein Shuttle auf mich. Zum ersten Mal rentieren sich meine Kanji-Kenntnisse, sonst hätte ich das Schild „田中屋“ (= Tanakaya) nicht lesen können und wäre die 1km bergauf zu Fuß gelaufen. Bei meinem Glück hätte ich sogar die falsche Straße genommen.Das Ryokan liegt an der Straße zum Rishiri. Es ist fast das letzte Haus, bevor der Ort endet, gleich neben dem Schrein. Viel ist hier nicht los. Die Saison scheint vorbei zu sein. So wie es aussieht bin ich der einzige Gast.

Zur Entspannung geht es erst einmal ins Onsen. Danach folgt das Abendessen im nächstgelegenen Izakaya. Letzteres ist zudem ein idealer Ort um auf Tuchfühlungmit der Dorfbevölkerung zu gehen. Man darf von so einem Izakaya nicht zu viel erwarten. Es sieht immer etwas rumpelig aus. So wie bei LaVigna in der Hüxstraße oder im Daruma in Hamburg. Die Optik intessiert keinen. Man geht hierher, um etwas zu essen oder ein Bier zu trinken.


Fazit: Soyamisaki ist einfach nur der nördlichste Punkt Japans. Wem das egal ist, kann sich den Weg sparen. Allen anderen sage ich: Der Weg am Wasser entlang ist schön, aber auch 31km lang. Über Rishiri kann ich noch nichts sagen. Bin gerade erst angekommen.


Kanji-Lexikon: Wakkanai 稚内, Wakkanai Eki 稚内駅, Kanji 漢字, Rishiri 利尻島, Romaji ローマ字, Tokyo 東京,  樺太島, Izakaya 居酒屋, Sapporo 札幌,

Wakkanai (das Ende von Hokkaido)

Die Zugfahrt nach Wakkanai dauert über 5 Stunden. Abfahrt ist um 7:48 Uhr; absolut nicht meine Zeit. Aber es gibt nur zwei Züge am Tag, und dieser ist der schnellere. Das Frühstück im Hotel überspringe ich. Ich shoppe was am Bahnhof.

Die Fahrt mit dem Soya Express selbst ist unspektakulär. Es regnet immer noch. Von daher bin ich ganz froh, heute im Zug zu sitzen. Es geht durch grüne Landschaften. Man sieht viele Bauernhöhe und Kühe auf der Wiese. Die Vegetation is ein bischen wie in Deutschland. Ich sehe sogar einige Birken. Zusammengefaßt muß sich Hokkaido den Vergleich mit MeckPom gefallen lassen. Es ist wirklich sehr ähnlich; nur mit mehr Hügeln und Bergen. Und wenn ich es mit den Zugfahrten meiner vorherigen Reisen vergleiche, so sieht Hokkaido wirklich etwas anders aus als der Rest von Japan.

Und dann steht man an der nördlichesten Bahnstation von Japan: Wakkanai Eki. Die Gleisen enden hier. Endstation. In jeder Hinsicht. Ich verlasse den Bahnhof. Ein erster Blick auf Wakkanai. Man ist so dicht an Rußland, daß sogar die Straßenschilder in Kanji, Romaji und Kyrillisch sind. Am Bahnhof sind die Koordinaten angegeben: 45°24’44“ N. Das ist in etwa auf der Höhe von Mailand.

 Um den Bahnhof herum wirkt alles etwas, ich sage mal, benutzt. Es ist nicht so schlimm wie in Toya, aber man hat das Gefühl, daß die Zeit hier etwas hinterher hinkt. Nachdem die Koffer im Hotel zwischengeparkt sind (check-in war noch nicht möglich) erkunde ich Wakkanai. Ich gehe am Wasser entlang in Richtung Noshappu-misaki, dem zweitnördlichsten Punkt Japans. Rechts das Wasser und Rasenflächen, auf denen der Fang des Tages getrocknet wird. Links alten Häuser und Wellblechhütten. Dieses Ende von Wakkanai ist ein Fischerdorf. Alles wirkt alt und heruntergekommen; angerostet und etwas rumpelig.

Zurück gehe ich einen anderen Weg. Er führt mich durch die Straßen von Wakkanai. Sie sind schmal. Es gibt keine Fußwege. Hier gibt es einen Militärstutzpunkt mit großen Radaranlagen. Ich erwähnte schon, Rußland ist nicht weit. Ich gehe die Serpentinenstraße hinauf in den Park. Von hier oben hat man einen schönen Blick über Wakkanai. Der Weg den ich gegangen bin, scheint so etwas wie der alte Teil von Wakkanai zu sein. Vom Bahnhof aus in die andere Richtung sieht man Hafen, Industrie und jede Menge Häuser. So klein wie ich dachte ist Wakkanai dann doch nicht.

Gleich in der Nähe steht ein Aussichtsturm, auch schon in die Jahre gekommen. Auch wenn er aus Beton ist, habe ich das Gefühl, daß er leicht schwankt. Man sieht Rishiri. Der Vulkankegel hebt sich direkt aus dem Wasser. Imposant. Jetzt verstehe, warum man ihn Hokkaido-Fuju nennt. Unter mir Wald und Straßen. Am liebsten würde ich schauen, wohin sie führen, aber es ist kurz vor der Dämmerung. Ich sollte langsam zurück gehen.

Ich sage mal, das wars. Der Weg zurück führt an Windkrafträdern von Vestas vorbei. Ich quere das Gelände eines Schreins. Der sollte ganz in der Nähe vom Hotel enden. Der Schrein ist nichts besonderes. Naja die Farben sind ungewöhnlich: Rot, weiß und Blau. Die Kombination habe ich zuvor noch nie gesehen.

Ein gutes Izakaya oder Resto fürs Abendessen finde ich nicht, also schnappe ich mir das Erstbeste, was ich finde. Hier in Wakkanai fühlt man sich schon etwas wie „hinterm dem Mond links“. Der Kontrast zu Tokyo oder Sapporo könnte nicht größer sein. Alles ist einen Gang runtergeschaltet.

Ich entspanne im Hotelonsen und gehe früh schlafen. Nicht ohne zuvor diesen Bericht getippt zu haben. Morgen gehts nach Rishiri. Am morgen werde ich kein Internet haben. Bis zu meinem nächsten Bericht kann es eine Woche dauern. Dann bin ich bereits in Hokadate.


Fazit: In Wakkanai ist nicht viel los. Wenn man hier ist und Zeit hat, kann man den Berg rauf zum Park und weiter zum Aussichtsturm. Pflichtprogramm ist das nicht. Wie der Reiseführer sagte: Man fährt nur nach Wakkanai, um die Fähren nach Rishiri oder Rebun zu nehmen.


Kanji-Lexikon: Rishiri 利尻島, Romaji ローマ字, Soyamisaki 宗谷岬, Sachalin; jap. Karafutoto 樺太島, Ryokan 旅館, Tanakaya 田中屋, Onsen 温泉, Izakaya 居酒屋

Showa Zan (ein Vulkan Baujahr 1943)

Heute geht es nach Toya. Die Zug-/Busverbindung ist nicht ideal. Ich starte um 9:18 Uhr in Sapporo. Ein Bus bringt mich um 11:15 von Toyaeki nach Toyako. Hier ist nichts los. Der Ort wirkt herunter gekommen. 2008 war hier der G8. Wirklich? Selbst für off-season wirkt es zu verlassen; fast so als wäre nach dem Gipfel hier alles dem Verfall preisgegeben worden. Jedes zweite Hotel steht sicherlich schon seit Jahren leer. Zum Showa Zan muß ich noch einen weiteren Bus nehmen. Um kurz nach 12 Uhr bin ich endlich am Ziel.

Toya, Showa-Zan

Links ein rostroter Vulkankegel. Kaum zu glauben, daß der 1942 noch nicht da war. Der Kegel ist 211 m hoch und er wächst immer noch. Der Farbkontrast haut einen um. Tiefblauer Himmel, das Grün der Bäume und dazu dieser rostrote Gesteinskegel ohne nur einen einzigen Grashalm daraum.

Ich mach ein paar Fotos und dann geht es zur Seilbahn und mit dieser hoch zum Kraterfeld. Der letzte Ausbruch hier in Toya war 2000. Damals wurde ein Teil der Stadt zerstört. Das Feld, zu dem die Seilbahn führt, ist älter (und ungefährlicher?). Kurz wird mir bewußt wo ich bin. Ein paar Meter entfernt von mir wächst ein Lavadom gen Himmel und vor mir ein Feld mit aktiven Krater; überall steigt Dampf auf. Der Vulkan Aso vor 4 Jahren war im direkten Vergleich friedlich.

Ich gebe mir einen strikten Zeitplan, denn wenn ich den Bus um 16:20 Uhr verpaase, hänge ich hier fest. Alle Busse danach verpassen den letzten Zug zurück nach Sapporo. Fast schon wieder ein Aso-Äquivalent. Die Wanderung beginnt mit fiesen Stufen bergauf. Sie sind zu lang, um sie in einem Schritt zu nehmen, und zu kurz für zwei Schritte. Die Aussicht ist super. Man sieht Toyako samt Insel und Showazan, auch die Küste auf der anderen Seite. Das Wetter ist perfekt. Der Taifun ist an Hokkaido vorbeigeschrammt (hat Tokyo platt gemacht). Die Rückseite eines Taifun ist immer sonnig.

Wanderung

Jetzt geht es japanische Stufen bergab und der Geruch von Schwefel wird stärker. Der Weg (etwa 1m breit und nur Geröll) führt auf der Rim um den Krater; ein wahre Gratwanderung. Libellen, überall Libellen. Es müssen hunderte sein. Sie schwirren herum und sitzen auf dem Seil, das den Weg zu beiden Seiten sichert. Die Sonne. Der Sound der Zikaden. Perfekt. Ich wandere weiter und weiter.

Dann ist der Weg zu Ende. Es führt ein Pfad steil bergab zu einem Bahnhof. Ich kann das Schild nicht entziffern. Es könnte der Bahnhof an der Strecke nach Sapporo sein. Könnte … Ich gehe lieber den Weg zurück, den ich kenne.Ich liege gut in der Zeit und kann die Aussicht und das Wetter genießen. Jetzt kommt die Treppe von vorhin. 297 Stufen laut Plan. Ich glaube es nicht und zähle: 586. Dachte ich es mir doch.

Kurz vor 16 Uhr bin ich zurück an der Seilbahn ins Tal und quetsche mich in die vorletzte Gondel hinab ins Tal. Glück. Denn ich ahne, daß die nächste Gondel den Bus verpassen würde. Schnell kaufe ich noch ein „Ho(t)kaido“ Noren und etwas zu Essen.

Am Busdepot habe ich 45 Minuten Wartezeit auf den Bus zum Bahnhof und somit die Gelegenheit, den zerstörten Stadteil zu besuchen, der jetzt eine Art Memorial ist: Eine Geisterstadt, grau, zerstört. Die Natur erobert sich mit Unkraut die Gebiete zurück. Der Anblick macht depressiv. Eine Brücke steht zwischen Wohnhäusern. Deplatziert. Hier gehört sich nicht hin. Sie wurde vom Schlamm mehrere hundert Meter mitgerissen. Die Häuser wirken beklemmend; teilzerstört und die Möbel noch wie am Tag der Evakuierung.

Kraterfeld

Nach der Busfahrt zum Bahnhof habe ich wieder Wartezeit und genieße den Sonnenuntergang. Der Express fährt erst um 19:40 Uhr. Das ist noch über eine Stunde entfernt und nichts zu tun. Hier gibt es nicht einmal ein Resto oder Izakaya. Vor dem Bahnhof steht der Straßenname: Ekimaeodori. Moment. Ja doch, ich habe die Kanji gelesen und erst danach nach der englischen Version gesucht.

Ich nehme den Local um 18:34 Uhr, der mich allerdings nur bis Higashi-Muroran bringt. Eventuell gibt es dort einen Anschluß vor dem Express. Wenn nicht, kann ich dort immer noch in den anderen Zug umsteigen. Ich habe Glück. Während ich in Higashi-Muroran warte, rollt der Cassiopeia ein und stoppt. Chance für Fotos. Eine Chance, die auch etwas 20 Japaner nutzen. Cassiopeia und Hokutosei sind in Japan berühmte Züge.

Das geplante Abendessen im Cross-Hotel-Resto fällt aus. Geschlossene Gesellschaft. Also ab in den Gyoza-Laden gleich um die Ecke. Chao Chao. Den Namen kenne ich doch? Richtig, der Laden in Tokyo. Und es war eine gute Idee. Das Finale des Tages ist ein Bad im Hotel-Onsen im 18F (17. Stock) mit Blick auf Sapporo.


Fazit: Die Reise zum Showa-Zan hat sich gelohnt. Der Ort Toya ist nicht der Rede wert. Eine Wanderung in dem Kratergebiet dagegen „highly recommended“. Natürlich muß das Wetter mitspielen. Die Anreise ab Sapporo raubt Zeit und Nerven. Aber wo soll man sonst übernachten? Eventuell in Hakodate?


Kanji-Lexikon: Toya 洞爺湖, Showa Zan 昭和新山, Gyoza 餃子, Cassiopeia カシオペア

Info: Showa-Zan is designated as a „Special natural monument of Japan“

Sapporo II (oder die Reste von Reiseführer)

Der zweite Sapporo-Abschnitt ist schnell erklärt: Dem Taifun 7 ist die Luft ausgegangen und er hat Tokyo getroffen. Die sind komplett abgesoffen. Aber, so ein Taifun ist groß und die Ausläufer reichen bis Sapporo. Es regnet. Ich veschiebe den Tagsausflug nach Lake Toya und starte den zweiten Abschnitt Sapporo. Große Lust auf Sightseeing habe ich nicht. Die Highlights des Tages waren: (1) Ein gemütliches Gespräch mit einem jungen Polizisten aus Wiesbaden, und (2) der Schrein am Ende meiner Liste mit Sehenswürdigkeiten …

Vom Hotel geht es zunächst zum botanischen Garten. Leider ist es kein japanischer Garten. Dadurch fehlt deren Ästhetik. Im Garten wirkt alles so westlich. Auch die Gebäude. Ich schlender ziellos durch das Areal.

botanischer Garten

Mit dem Polizisten komme ich eher durch Zufall ins Gespräch. Ich bin über sein „Hallo“ gestolpert. Ich war gerade dabei, in das Gewächshaus zu gehen; etwas in Gedanken versunken. Ohne nachzudenken sagte ich Hallo und bekam eine Antwort. Für klönen fast 2 Stunden und genießen Automatengetränke. Auch das ist Urlaub: Dinge geschehen lassen, nichts erzwingen, dem Fluß folgen.

Er ist 28 (so alt wie ich bei meiner ersten Japanreise) und absolviert das volle Programm: Er ist in Okinawa gestartet und hat den Lonely Planet (Homepage) für Hiker. Ziel hier auf Hokkaido ist die große Traverse. Respekt. Ganz ehrlich. Respekt. Die große Traverse ist ein 8-Tage-Marsch über die höchsten Gipfel des Daisetsusan-Nationalparks. Nichts für Warmduscher. Ich traue mir gerademal den 1,5-Tage-Trip von Sounkyo nach Asahidake zu.

Vom Garten geht es zurück zum Hotel. Meine Klamotten vollständig durchnässt. Sonderlich warm ist es auch nicht. Vom Hotel geht es dann zur U-Bahn und von dort weiter zum zweiten Ziel, dem Hokkaido-Jingu. Er liegt ein wenig außerhalb. Von der U-Bahn geht es in ein Waldgebiet. Hier  endet Sapporo; zumindest wirkt es so. Ich folge dem Weg. Ich muß einen Nebeneingang erwischt haben. Hier stehen nur kleine Schreine. Der Regen hat etwas nachgelassen. Die Luftfeuchte ist so hoch, daß alles in leichten Nebel gehüllt ist.

Hokkaido Jingu

Ich gehe durch den Wald und finde den Weg zum Hauptgebäude. Was für ein Eingang. Der Anblick erinnert mich an Ise. Die Proportionen sind flach. Das Holz ist Dunkel. Oben auf dem Dachfirst 5 vergoldete Tonnen und lange, nach oben hinausragende Giebelbalken. Genauso wie das Dach von meinem Kamidana. Das innere des Schreins ist wie aus dem Bilderbuch; Japan in leichter Überdosierung. Das Zirpen der Zikaden, Trommeln, der Duft von Zedernholz (er wird durch den Regen verstärkt). Eine riesige Fläche mit grauem Kies. Sorgfältig geharkt. Eine hohe Holzwand, die das Areal umgibt. Dahinter der Wald.

Jetzt sollte ich gehen. So wie es aussieht wurde eine Reisegruppe Chinesen angespült. Vorbei ist es mit der idyllischen Ruhe. Ich überlege kurz, ob ich hier in dem Waldgebiet wandern gehe. Ein paar Stunden bis zur Dunkelheit habe ich noch. So richtig Motivation kommt aber nicht auf. Und ich habe Hunger. Ich gehe zurück zur U-Bahnstation. Da sich nichts besseres findet, stoppe ich bei KFC.

T38, meine Abendprogramm, ist der JR Tower am Bahnhof, genauer gesagt, die Aussichtsplatform. Richtig vermutet, 38. Etage (nach westlicher Zählung 37. Obergeschoß – In Japan ist das Erdgeschoß Etage 1).Ich muß etwas suchen, bis ich den Eingang finde.

Die Aussicht ist super. Und zum ersten Mal sehe ich eine japanische Großstadt von oben „mit Rand“. Yokohama, Oosaka und Tokyo waren ein Lichtermeer bis zum Horizont; Sapporo nicht. Man erkennt deutlich, wo das Stadtgebiet endet. Das Lichtmeer hört abrupt auf. Nur an einen Stellen folgt es noch etwas den Hautstraßen.

Aussicht T38

Ich habe das Stativ mit und kann mir etwas freier als sonst die Perspektive wählen. Ich blicke auf das Cross Hotel. Das X ist ein gut sichtbares Markenzeichen. Unter mir die Hauptstraße. Auto verewigen sicht als Leuchtspur auf dem Bild. Die Ampelschalten sorgt für die Choreografie.

Ein Highlight der besonderen Art sind die Toiletten. Direkt nebem dem Urnial geht die Scheibe bis zum Fußboden. Frei formuliert: Man kann beim Pinkeln über die Stadt blicken. Keine Ahnung wie der Architekt auf diese Idee gekommen ist. Ich will es auch gar nicht wissen. Um 23 Uhr der letzte Stop des Tages in einem Izakaya. Ich muß morgen früh einen Zug erwischen. Es fahren nur zwei am Tag.


Fazit: Dieser Tag war aufgrund des Wetters suboptimal. Obwohl die Atmosphäre am Schrein schon was hatte. Highlight war dann der Blick von T38.

Sapporo-Fazit: Für Sapporo reicht ein Tag. Zum Pflichtprogramm zählen nach meiner Meinung: Clock Tower, der Schrein und T38 (als Abendprogramm). Ergänzt werden sollte das Programm durch den Besuch beim ehemaligen Regierungssitz und Sapporo Bier Museums. Optional ist der Fischmarkt und der Funkturm. Der bontanische Garten ist nur etwas für Leute, die auf sowas stehen.


Kanji-Lexikon:
Sapporo 札幌, Lake Toya 洞爺湖, Daisetsusan-Nationalparks 大雪山国立公園, Gyoza 餃子, Hokkaido-Jingu 北海道神宮, Yokohama, Oosaka 大阪, Tokyo 東京, Izakaya 居酒屋

Otaru (oder gleich Yoichi)

Heute ist das Wetter noch gut, aber der Taifun naht. Auf nach Otaru. Im Reiseführer erwähnt wegen des Kanals und der Shoppingstraße mit alten Häusern. Wie immer erwartet man mehr, als man bekommt. Japans Touristen ticken anders.

Der Zug nach Otaru schlängelt sich durch die Landschaft; eingleisig und mit vielen kleinen Tunnels. Dann erreichen wir den Bahnhof. Mir fallen sofort die kleinen, bunten Petroleum-Lampen auf, die hier als Beleuchtung/Deko hängen. Hünsch, putzig und etwas „remote“.

Otaru

Der Kanal ist ganz nett. Könnte man sicherlich was draus machen. Den alten Lagerhäusern fehlt der gewisse Pepp. Wenn man die aufmöbelt, könnte das eine coole Kulisse werden. Auf der Suche nach der Schoppingstraße stoße ich auf die Otaru-Brauerei. Na wenn das nicht das fleischgewordene Klischee von Deutschland ist: eine Mischung aus Brauberger und Hofbräuhaus, dazu die Klänge von Polka und „Es gibt kein Bier auf Hawaii“; Bier aus Maßkrügen bayrischer Art und Süßigkeiten von Haribo (3 Euro die Tüte, ist ja aus „Doitsu“). Die Brauanlage stammt wie – wie sollte es anders sein – aus Deutschland, Bamberg um präziser zu werden. Zu einem Bier ringe ich mich durch. Dann aber raus. Eine Überdosis Deutschland droht.

Nach diesem Kultrschock geht es weiter zur Shoppingstraße mit den typischen japanischen Läden: kitschige Handwerkskunst und Essen. Ersteres interssiert mich weniger. Letzteres kommt mir gerade recht. Ich gönne mir ein Stück Hokkaido-Melone; 100円 für etwa 1/32 Melone. Ist eigentlich fair. Eine ganze Melone kostet hier schon mal 50-80 Euro (nach oben gibt es keine Grenzen). Das erwähnte kitschige Handwerk in Otaru ist Glasbläserei … Nichts für Männer. Tip: Laßt eure Frauen (ohne Kreditkarte) hier und fahrt 25 Minuten (mit Kreditkarte, siehe unten !)  mit der Bahn nach …

Yoichi

Der Ort ist noch kleiner als Otaru. Hier gibt es nicht zu sehen. Der Grund für meine Reise ist die Nikka-Destillerie. Man kann ohne Eintritt über das Gelände gehen. Die Bereiche, in denen der Whiskey heute hergestellt wird, ist off-limits. Wir sind schließlich in Japan. Das Areal ist speziell für Touristen zu recht gemacht. Es gibt keine Führungen. (Wer eine Destillerie im Betrieb sehen will, sollte nach Schottland fahren.)

Einzig erwähneswert war das alte Haus vom Besitzer. Sehr englisch, sehr westlich. Am Ende des Rundgangs, bzw. auf der anderen des Geländes, gibt es das Shopping-Center für Touristen. Kurz vorher auf der rechten Seite ist ein kleines Museum. Hier erfährt man etwas über die Ursprünge von Nikka Whiskey. Und man kann Whiskeys probieren. Allerdings ist nur die erste Runde gratis, die zweite gibt es nur gegen Bares. Das soll mich nicht abhalten, zumal es hier Sorten und Abfüllungen gibt, die man außerhalb Japans oder der Destillery nicht bekommt.

Yoichi und Baseball

Das Ambiente stimmt: ein dunkler Raum, dunkle Hölzer; der Kellner mit weißem Hemd und Fliege. Das „Sir“ ist inklusive. Die Whiskeypreisen sind für Japan billig. Ich probiere mich durch: 15 Jahre Single Cask, 25 Jahre Single Cask, usw. Höhepunkt ist der Single Coffee Grain. Sehr interessant im Geschmack. Soweit mein fachunkundiger Gaumen das Beurteilen mag: Noten von Karamel und Vanille. Die Verwendung einer Coffee Still ist ungewöhnlich. Sie erlaubt einen non-stop-Brennprozess, ähnlich wie die Kolonnen einer Raffinerie. Das Resultat ist aber so interessant, daß ich eine Flasche kaufe. Nein, keine Preise. Nur so viel: Ich muß wohl meine Hausratversicherung erhöhen. [Nachtrag 2016: Er ist jetzt auch auf dem deutschen Markt v erfügbar.]

Um 18 Uhr bin ich wieder in Sapporo. Was machen mit dem Rest vom Tag? Museen und Park haben geschlossen. Es dämmert. Baseball! Ich habe da doch im zug ein Plakat gesehen. Um 19:20 bin ich am Sapporo Dome. Eine Baseball-Halle. Der Anblick ist vertraut. Ich habe das Design in einem Buch über moderne japanische Architektur gesehen. Der Architekt war Hiroshi Hara. Er hat auch den Bahnhof von Kyoto und den Floating Garden in Oosaka entworfen. Der Clou: Der Rasen ist fahrbar. Man kann das Fußballfeld gegen ein Baseballfeld tauschen!

Das Spiel läuft bereits und die Karten kosten nur noch die Hälfte. Dafür verzichte ich gerne auf die ersten drei Innings. Die Stimmung ist super (muß irgendwann mal die Audiospur ins Netz stellen), auch wenn das Stadion nur zu einem Drittel gefüllt ist.

Bemerkenswert ist das Interview nach dem Spiel. Reporter: „Bla bla, sabbel, sabbel“, Spieler „Hai!“,  Reporter: „Bla bla, mehr sabbel“, Spieler „So desu!“ So kurz angebunden und trocken ist nicht einmal Thomas Schaaf von Werder Bremen. Das Publikum johlt bei jeder Antwort. Danach geht auch dieser Tag nach einem Abendessen in einem Izakaya zu Ende. Das Bier ist wie immer erfrischend, das Essen wie immer lecker.


Fazit für Japantouristen: Otaru kann man besuchen, ist aber kein Pflichtprogramm. Yoichi bietet nur die Destillerie. Wer hierher will, sollte es als Winterurlaub planen, Denn diese Gegend ist eigentlich ein Wintersportgebiet. Wenn meine Reiseroute nicht an Otaru und Yoichi vorbeiführt, würde ich nicht unbedingt einen Umweg dafür machen.


Kanji-Lexikon:
Otaru 小樽, Doitsu ドイツ, Yoichi 余市, Sapporo Dome 札幌ドーム, Izakaya 居酒屋